Verlieren wir unser soziales Kapital? Carola Schaaf-Derichs kommentiert aktuell

Co­ro­na und kein En­de – vie­le Men­schen ge­hen der­zeit in ei­ne an­de­re in­ne­re Ver­fas­sung über, Coronazeitweil das Licht am En­de des Tun­nels ei­ner un­wäg­ba­ren Pan­de­mie­er­fah­rung nicht in Sicht kommt, im Ge­gen­teil. Was ma­chen die­se tag­täg­li­chen Ein­drü­cke des so­cial di­stancing mit uns, wie re­agie­ren die En­ga­gier­ten auf die­se Be­las­tun­gen, wie die Men­schen, de­ren Le­ben schon vor der Pan­de­mie nicht ein­fach war und die un­ter Druck ge­ra­ten, wirt­schaft­lich, fa­mi­li­är, so­zi­al und individuell?

Was macht der­zeit das Le­ben in ei­ner „pul­sie­ren­den Groß­stadt“ aus, wenn der Puls in un­ge­ahn­te Tiefst­stän­de ab­rutscht? Wenn das öf­fent­li­che Le­ben und der per­sön­li­che Aus­tausch zwi­schen den vie­len in­ter­es­sier­ten und in­ter­es­san­ten Men­schen in Ber­lin nicht mehr At­trak­ti­ons­punkt und High­light, son­dern viel­mehr ge­mie­den und im­mer mehr ein­ge­schränkt re­spek­ti­ve di­gi­ta­li­siert wer­den muss? Was kön­nen, was müs­sen wir jetzt als Agen­da für ei­ne so­li­da­ri­sche Ge­sell­schaft setzen?

So­zia­les Ka­pi­tal droht zu schwinden

Die “re­du­zier­te Stadt“, wie Kai Mül­ler im Ta­ges­spie­gel vom 24. Ok­to­ber1 ti­telt, läßt das so­zia­le Ka­pi­tal schwin­den, so äu­ßert er sei­ne Be­ob­ach­tun­gen. Das be­son­de­re Maß an Be­geg­nung mit Frem­den und der Dis­kurs über Un­ter­schie­de und Ge­mein­sam­kei­ten, was ge­ra­de die Po­lis schon in der An­ti­ke aus­ge­macht und un­se­re Zi­vi­li­sa­ti­on ge­prägt hat, ist in Ge­fahr zu schwin­den. „Die Aus­ge­stal­tung der Zu­kunft, die nicht wirk­lich plan­bar ist, lebt von dem Dis­kurs, der über sie ent­steht“ so fol­gert Mül­ler. Und er macht ein­dring­lich dar­auf auf­merk­sam, dass die „…Stadt (…) nur noch Ku­lis­se ei­nes so­zia­len Zu­sam­men­halts, der sich im In­ter­net or­ga­ni­siert“ wer­den könnte.

Was wir für un­se­re Zu­kunfts­kon­struk­ti­on – und so­mit auch für ei­ne Per­spek­ti­ve in der Kri­se – brau­chen, sind Be­geg­nun­gen in­klu­si­ve des Be­wusst­seins der Dif­fe­renz so­wie das Ver­trau­en, das ge­ra­de auch aus dem Auf­ein­an­der­tref­fen von Frem­den ent­steht. Dies sind we­sent­li­che Merk­ma­le für De­mo­kra­tie, sagt Tal­ja Blok­land, Di­rek­to­rin des Ge­org Sim­mel Zen­trums für Me­tro­po­len­for­schung an der Hum­boldt Uni­ver­si­tät von Ber­lin, die meh­re­re Stu­di­en in die­sem Ge­biet un­ter­nom­men hat.2

Sprech­fä­hig wer­den und Ver­tre­tungs­macht bilden

Auch in der Un­ter­su­chung des MAECENATA In­sti­tuts zur Nut­zung der Ret­tungs­schir­me im Drit­ten Sek­tor3 wird auf die be­son­de­re Be­deu­tung des zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Sek­tors in der Kri­se hin­ge­wie­sen. Zum Hand­lungs­rah­men der Zi­vil­ge­sell­schaft fol­gert die­se Studie:

1. Die Zi­vil­ge­sell­schaft selbst muss ler­nen, ih­re Po­ten­zia­le, Her­aus­for­de­run­gen und Be­dar­fe of­fen­si­ver und strin­gen­ter dar­zu­stel­len und an die Po­li­tik zu kom­mu­ni­zie­ren. Des­halb soll­te der bis­her nicht ver­band­lich ver­fass­te Teil der Zi­vil­ge­sell­schaft er­wä­gen, ver­stärkt Zu­sam­men­schlüs­se oder Ko­ali­tio­nen zu bil­den, um sprech­fä­hi­ge und mit Ver­tre­tungs­macht aus-ge­stat­te­te Ge­sprächs­part­ner und ‑part­ne­rin­nen ge­gen­über staat­li­chen Stel­len zu haben. (…)
5. Die ge­sell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen der Co­vid-19-Pan­de­mie sind bei wei­tem noch nicht in vol­lem Um­fang ab­seh­bar. Aber klar ist schon heu­te, dass es ei­ne Rück­kehr zum sta­tus quo an­te nicht ge­ben wird. Dies be­trifft auch die Zi­vil­ge­sell­schaft, die es nun zu un­ter­stüt­zen gilt.”

Wir fin­den die­sen Blick auf die ak­tu­el­le Si­tua­ti­on zu­tref­fend als auch her­aus­for­dernd im po­si­ti­ven Sin­ne! Un­se­re Agen­da ha­ben wir be­reits mit Zu­kunfts- und Selbst­ver­ant­wor­tungs­the­men gut ge­füllt! Was es jetzt braucht, ist den Mut, Neu­es zu wa­gen und trotz­dem das Wich­tigs­te zu wah­ren und zu be­le­ben, was uns trägt: un­se­re gu­te Ver­net­zung und un­se­ren Aus­tausch und Diskurs!

Edi­to­ri­al von Ca­ro­la Schaaf-De­richs im
News­let­ter #6 der Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Berlin

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ak­tua­li­siert 26.06.2021